Längerer Insolvenzschutz für überschuldete Unternehmen
Keine Insolvenzantragspflicht bis Ende des Jahres - Zahlungsunfähige Firmen müssen ab Oktober wieder einen Insolvenzantrag stellen
Überschuldete
Unternehmen sollen weiter vor einer Insolvenz geschützt werden. Der
Gesetzentwurf wurde gestern Abend im Bundestag von CDU/CSU, SPD, den Linken und
Grünen angenommen - FDP und AFD stimmten gegen den Entwurf. Die
Fristverlängerung gilt bis Ende des Jahres und nur für Unternehmen, die
pandemiebedingt in die Krise gerutscht sind. Überschuldete Unternehmen sollen
weitere drei Monate erhalten, sich durch das wieder anziehende
Wirtschaftsgeschehen oder durch staatliche Hilfsangebote zu sanieren. Firmen,
die ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen können, müssen dagegen ab
dem 1. Oktober wieder einen Antrag stellen.
„Die gute
Nachricht ist, trotz einer der tiefsten Krisen in der Nachkriegszeit, von der
die gesamte Wirtschaft betroffen ist, wurde eine Insolvenzwelle hinausgezögert.
Die Antragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen wieder einzusetzen, ist
allerdings fast überfällig. Denn Lieferanten und Dienstleister müssen die
Sicherheit haben, dass sie mit Kunden zusammenarbeiten, die später die Rechnung
auch bezahlen können“, erklärt Falkensteg-Partner Tillmann Peeters.
Züchten von Zombie-Unternehmen
Der Gesetzgeber
hatte wegen der Corona-Pandemie im März beschlossen, die Antragspflicht für
Unternehmen bis Ende September auszusetzen. Dies galt für zahlungsunfähige und
überschuldete Firmen. Aufgrund der Aussetzung und der staatlichen
Hilfsmaßnahmen wie dem Kurzarbeitergeld oder KfW-Krediten sanken die
Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr um 8,2 Prozent gegenüber dem
Vorjahreszeitraum. „Wir retten derzeit Unternehmen, die letztes Jahr unter
besseren wirtschaftlichen Bedingungen schon längst vom Markt verschwunden
wären. Das ist wirtschaftlich nicht gesund. Damit züchten wir
Zombie-Unternehmen, die eigentlich keinen Lebenszweck mehr haben“, weiß
Peeters.
Eine Rückkehr
zum normalen Insolvenzrecht wäre für den Sanierungsexperte die sinnvolle
Konsequenz gewesen. Zumal ein halbes Jahr ausreichen müsste, eine
Durchfinanzierung mit den staatlichen Maßnahmen auf die Beine zu stellen. „Wenn
das Geschäftsmodell in der Pandemie nicht tragfähig oder das Unternehmen nicht
sanierungsfähig ist, nützen auch drei weitere Monate nichts. Dafür verursachen
sie in der Zwischenzeit Schäden bei anderen Unternehmen“, befürchtet Peeters.
Sanierung in der Insolvenz
Darüber hinaus warnt er davor, die Insolvenz zu verteufeln, denn die Pleite muss nicht das Ende für ein Unternehmen bedeuten. Mit der Eigenverwaltung oder einem Schutzschirmverfahren kann das Unternehmen grundlegend saniert und Geschäftsmodelle auf veränderte Märkte ausgerichtet werden. „Voraussetzung für den Schutzschirm ist, dass sich der Unternehmer frühzeitig mit der Krise auseinandersetzt. Er kann nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beantragt werden“, erklärt Peeters. In diesem Jahr sind so viele Schutzschirmverfahren beantragt worden, wie in den vergangen vier Jahren zusammen. Offensichtlich gibt es Geschäftsführungen, die diese Sanierung als Chance begreifen, aber viele verzögern das Unausweichliche.
Zahlungsunfähigkeit prüfen
Zum Oktober
greift auch wieder die persönliche Haftung des Geschäftsleiters, wenn er
Zahlungen leistet, obwohl das Unternehmen zahlungsunfähig ist. Deshalb sollten
Unternehmen, insbesondere deren Geschäftsmodelle wegen der Pandemie stark
gefährdet sind, bis Ende September ihre Liquidität und eine mögliche
Antragspflicht prüfen.
Überschuldung
liegt dann vor, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden
Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Hier muss eine zweigeteilte Prüfung
erfolgen. Zunächst wird eine Überschuldungsbilanz zu Liquidationswerten und
nicht zu Fortführungswerten erstellt. Sofern die Schulden das Vermögen
übersteigen, muss eine Fortbestehensprognose erstellt werden. Daraus soll
hervorgehen, dass das Unternehmen dauerhaft imstande ist, seine fälligen
Verbindlichkeiten zu bedienen. Sofern diese Fortbestehensprognose negativ ist,
besteht normalerweise Insolvenzantragspflicht. Diese ist bis zum Ende des
Jahres ausgesetzt.
Ein Unternehmen ist dagegen zahlungsunfähig, wenn die vorhandenen liquiden Mittel (Guthaben, ungekündigte Kreditlinien, Kassenbestand) nicht ausreichen, um die fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Sofern mehr als 90 Prozent der Verbindlichkeiten durch die liquiden Mittel gedeckt sind oder innerhalb der nächsten drei Wochen gedeckt sein werden, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor, sondern lediglich Zahlungsstockung. Sofern jedoch die Liquiditätslücke ≥ zehn Prozent beträgt, ist das Unternehmen zahlungsunfähig. Das Unternehmen ist wieder verpflichtet einen Insolvenzantrag zu stellen.
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