08.12.2016 - Kategorie "Recht und Gesetz"

NIVD Stellungnahme zum Entwurf einer EU-Richtlinie zur vorinsolvenzlichen Sanierung

EU-Richtlinienvorschlag zur vorinsolvenzlichen Restrukturierung

„Der Richtlinien-Entwurf verfolgt die richtigen Ziele. Dort, wo er über den Bestand des deutschen Insolvenzrechts hinausgeht, gefährdet er jedoch die Interessen der Gläubiger.“ (Dr. Susanne Berner, Vorstandsvorsitzende NIVD)


Wie bereits im Aktionsplan zur Kapitalmarktunion vom 30. September 2015 angekündigt und seither mit Spannung erwartet, hat die EU-Kommission am 22. November 2016 den Entwurf einer Richtlinie vorgelegt, die eine Teilharmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten betreffend Insolvenz‑, Restrukturierungs- und Restschuldbefreiungsver-fahren bezweckt. Zur Begründung weist die Kommission auf die europäische Dimension des Insolvenzrechts auch jenseits von grenzüberschreitenden Fällen hin, die von der – gerade erst neugefassten – EuInsVO erfasst werden; insbesondere würden sich die Verschiedenheit der Insolvenzrechte und die teils sehr langwierigen, komplexen und wenig ergiebigen mitgliedstaatlichen Verfahren als Hemmnis für grenzüberschreitende Expansionen und Investitionen darstellen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen im Übrigen europäisches Unternehmertum fördern, Arbeitsplätze schaffen und erhalten sowie die nationalen Volkswirtschaften und Finanzmärkte stärken.

Zu diesem Zweck sieht der Entwurf insbesondere einen Gesetzgebungsauftrag an die Mitgliedstaaten vor, wenigstens ein Restrukturierungsverfahren im Vorfeld der Insolvenz und mit dem Ziel ihrer Vermeidung zu regeln, für das zugleich weitreichende Vorgaben formuliert werden. Unternehmern soll im Regelfall nach längstens drei Jahren Restschuldbefreiung gewährt werden, um ihnen eine zügige „zweite Chance“ einzuräumen. Außerdem sollen Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren unter anderem durch Anforderungen an die Ausbildung und Qualifikation von Insolvenzrichtern, ‑rechtspflegern und ‑verwaltern und an die Auswahl, Überwachung und Vergütung von Insolvenzverwaltern effizienter werden.

Der Vorstand der Neuen Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e. V. (NIVD) begrüßt vorbehaltlos die Anliegen der EU-Kommission, die frühzeitige Restrukturierung von restrukturierungsfähigen und -würdigen Unternehmen zu fördern, redlichen Unternehmern (wie auch Verbrauchern) unter bestimmten Voraussetzungen einen schuldenfreien Neuanfang zu ermöglichen und unionsweit die Rahmenbedingungen für effiziente und effektive Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren zu schaffen. Ob der vorliegende Entwurf allerdings diese Ziele erreichen kann und dabei zugleich die schutzwürdigen Interessen der Gläubiger im gebotenen Ausmaß im Blick hat und wahrt, muss bezweifelt werden.


Seine Umsetzung in der gegenwärtigen Form würde zum Teil (weitere) tiefgreifende Eingriffe in das geltende deutsche Insolvenzrecht erfordern, dessen jüngere Reformen bereits die identischen Ziele verfolgten und einen im Wesentlichen gelungenen Ausgleich zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen erzielt haben. Das deutsche Insolvenzrecht, von der Weltbank zuletzt in ihrem Doing Business 2017-Report als zweiteffektivstes in Europa (nach Finnland) bewertet, bietet auch ohne besonderes vorinsolvenzliches Verfahren einen modernen und zeitgemäßen Regelungsrahmen, der die zügige Restrukturierung unter Erhalt von Unternehmenswerten dort erlaubt, wo sie möglich ist und von einer Gläubigermehrheit getragen wird, während in allen übrigen Fällen ohne Verzögerung eine unmittelbare Liquidation zur Markt- und Schuldenbereinigung stattfinden kann. Dies wird insbesondere auch gewährleistet durch die Kompetenz, Professionalität und Unabhängigkeit der als Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter und als erfahrene Berater tätigen Berufsträger.


Das von der Kommission vorgeschlagene insolvenzabwendende Restrukturierungsverfahren endet idealerweise mit einem Restrukturierungsplan, der in Inhalt und Zustandekommen einem ESUG-Insolvenzplan vergleichbar ist, wobei er allerdings anders als dieser auf einzelne Gläubiger(gruppen) beschränkt werden kann. Diese Beschränkbarkeit etwa auf Finanzgläubiger hat sich in anderen Mitgliedstaaten durchaus bewährt (etwa beim englischen Scheme of Arrangement), wobei der Richtlinienentwurf hier über das Ziel und auch seine Vorbilder hinauszuschießen scheint, wenn selbst bei einer solchen Beschränkung nicht immerhin die Zustimmung jeder beeinträchtigten Gruppe erforderlich ist. Der Vorstand der NIVD ist zudem besorgt, dass das in Einleitung und Durchführung weitgehend schuldnerbestimmte Verfahren letztlich eine Einladung an den Schuldner darstellen könnte, die objektiv bereits unvermeidliche Liquidation hinauszuzögern und auf Kosten der Gläubiger die noch vorhandene Masse unter dem Deckmantel eines weitreichenden (auf insgesamt höchstens ein Jahr verlängerbaren) Moratoriums und einer partiellen Suspendierung von Insolvenzantragspflichten und -rechten zu schmälern. Dazu trägt es bei, wenn Honorarzahlungen an Berater und andere Zahlungen in engem Zusammenhang mit dem Verfahren weitgehend anfechtungsfest gestellt werden sollen. Die aktuell vorgesehenen Schutzmechanismen, im Wesentlichen die im Einzelfall mögliche Bestellung eines Sachwalters mit wenig klaren Kompetenzen und die Befugnis des Gerichts, das Moratorium aufzuheben oder zu beschränken, erscheinen demgegenüber als nicht ausreichend. Neben diesem grundsätzlichen Bedenken stehen weitere Kritikpunkte und Fragezeichen: So ist etwa aus deutscher Perspektive unsicher, wie sich die Eröffnungsvoraussetzung der „wahrscheinlichen Insolvenz“ zum Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit verhält, und sind die Regelungen zum Moratorium wenigstens unklar, was die Befugnis bzw. Pflicht des Schuldners betrifft, noch einzelne betroffene Forderungen (insbesondere solche aus gegenseitigen Verträgen) zu begleichen.


Zur zweiten Chance für Unternehmer, die die Mitgliedstaaten auf Verbraucher ausdehnen können, sieht der Entwurf in Abweichung vom geltenden deutschen Insolvenzrecht insbesondere vor, dass die längstens drei Jahre nach Insolvenzeröffnung oder Annahme eines Zahlungsplans eintretende Restschuldbefreiung weder von Rückzahlungspflichten abhängig gemacht werden dürfe, die sich nicht an der Situation des Schuldners im Einzelfall orientieren, noch von einem gesonderten Antrag. Der Vorstand der NIVD steht dem Fortfall der erst jüngst als Ergebnis eines Kompromisses zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen vorgesehenen Mindestquote von 35 % vor der vorgesehenen Evaluierung ihrer Effektivität skeptisch gegenüber.


Zu Recht betont der Richtlinienentwurf die Bedeutung der Professionalität und Kompetenz der an Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren beteiligten Amts- und Berufsträger. Auch wenn bezweifelt werden muss, dass die EU-Initiative zu weitergehenden Anforderungen an Insolvenzrichter und ‑rechtspfleger führen wird als bereits durch das ESUG in den §§ 22 Abs. 6 GVG, 18 Abs. 4 RPflG geregelt, begrüßt der Vorstand der NIVD vor allem die Vorgabe, dass Insolvenzsachen erfahrenen und vor allem darauf spezialisierten Gerichtspersonen zuzuweisen seien. Auf Seiten der Insolvenzverwalter stellt die aktuelle Bestellungspraxis der Gerichte in Verbindung mit § 56 Abs. 1 InsO bereits heute die verlangte Expertise und Leistungsfähigkeit sicher; auch die Überwachungs- und Sanktionsmechanismen der InsO und die Vergütungsregelungen dürften den Anforderungen des Kommissionsentwurfs entsprechen. Der Aufforderung an den Gesetzgeber, die Bestellungskriterien klar und transparent (unter Einschluss von Sprachfertigkeiten in grenzüberschreitenden Verfahren) zu regeln, pflichtet der Vorstand der NIVD bei – ebenso im Grundsatz der Regelung zur Erweiterung der elektronischen Kommunikation bei Forderungsanmeldungen, Gläubigerinformationen, Anträgen bei Gericht und Abstimmungen.


Zum Abschluss sei ein Kuriosum erwähnt: Der Richtlinienentwurf verspricht in Art. 3 vollmundig vor allem KMUs den Zugang zu Frühwarninstrumenten, die eine Krise frühzeitig erkennen und dem Unternehmen eine Handlungsnotwendigkeit signalisieren sollen. Schaut man neugierig in die Erwägungsgründe, was sich hinter diesen Instrumenten verbergen mag, so findet man dort als einzige Beispiele zusätzliche Buchführungs-, Überwachungs- und Mitteilungspflichten der Geschäftsleitung und Anreizmechanismen oder Pflichten für Dritte (z. B. Buchhalter, Fiskus, Sozialkassen), dem Unternehmen eine ungünstige Entwicklung mitzuteilen.

 


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