Papierlawine verhindert finanziellen Neuanfang
Der Gesetzgeber evaluiert derzeit die im Jahr 2020 eingeführte Verkürzung der Restschuldbefreiung im Verbraucherinsolvenzverfahren.
Die Antragszahlen sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Grund dafür sind mangelnde und schwer verständliche Informationen, fehlende Beratungsangebote und die geringe Digitalisierung des Verfahrens. 45 Formularseiten für den Antrag, gespickt mit juristischen Fachbegriffen sind ohne fachliche Hilfe nicht zu bewältigen.
Im Dezember 2020 hat der Gesetzgeber das Verbraucherinsolvenzverfahren von sechs auf drei Jahre verkürzt, um Bürgerinnen und Bürger schneller zu entschulden und einen wirtschaftlichen Neustart nach Erteilung der Restschuldbefreiung zu ermöglichen. Das Bundesjustizministerium evaluiert derzeit die Verkürzung und ermittelt, ob sie sich auf das Insolvenzgeschehen ausgewirkt hat.
Die amtliche Statistik verzeichnet für das Jahr 2021 78.615 Verbraucherinsolvenzverfahren (vgl. 2020: 40.502). Dieser Anstieg war eindeutig auf eine zuvor verzögerte Antragstellung in Erwartung der früh angekündigten Verkürzung zurückzuführen. Im Folgejahr 2022 (65.487) stiegen die Verfahrenszahlen nicht weiter an, sondern fielen auf eine Zahl zurück, die unter dem Durchschnitt des vorangegangenen Jahrzehnts lag. 2023 (66.887) wurde nur ein leichter Anstieg der Verfahrenszahlen verzeichnet. Die erhebliche Verkürzung der Verfahrensdauer hat demnach nicht zu einer deutlichen Zunahme der Verbraucherinsolvenzverfahren geführt.
„Die Zahl überschuldeter Privatpersonen in Deutschland lag zuletzt bei 5,65 Millionen*. Bei vielen von ihnen würde man erwarten, dass sie den Ausweg über eine Insolvenz suchen“, sagt Dr. Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Dass sie trotz der 2020 eingeführten Erleichterungen das nicht tun, liegt laut VID vor allem an den mangelnden und schwer verständlichen Informationen, die die Schuldnerin oder den Schuldner ohne Rechtsberatung vor große Herausforderungen stellt. „Das 45-seitige Antragsformular ist eine Hürde, die nur wenige Menschen allein bewältigen können. Die Schuldnerberatungen können den vorhandenen Beratungsbedarf zudem nicht ausreichend abdecken. Barrierefreiheit und der echte Wille den finanziellen Neuanfang zu unterstützen sieht anders aus.“, führt der VID-Vorsitzende weiter aus.
„Ein vereinfachtes und digitalisiertes Verbraucherinsolvenzverfahren sowie leicht zugängliche Informationen würde bereits Abhilfe schaffen. Bürgernahe Sprache und Erklärvideos in verschiedenen Sprachen könnten Schuldnerinnen und Schuldner bei der Antragsstellung unterstützen. Ein digitales Verfahren würde auch die Justiz organisatorisch, personell und finanziell entlasten“, so Niering. Eine Initiative, die der Berufsverband bereits seit 2018 unter dem Stichwort Insolvenzverfahren 4.0 verfolgt.
Derzeit beschäftigt sich der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz. Für Mittwoch, den 15.05.2024, ist die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages angesetzt. Das Gesetz macht bisher nur wenige Vorschläge zur Digitalisierung in Insolvenz- und Sanierungsverfahren.
">Über den VID:
Der Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands ist der Berufsverband der in Deutschland tätigen Insolvenzverwalter und Sachwalter. Mit mehr als 470 Mitgliedern vertritt er die überwiegende Mehrheit dieser Berufsgruppe. Die Mitglieder verpflichten sich auf „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenz- und Eigenverwaltung“ und zur Zertifizierung nach ISO:9001. Damit setzt der Verband Maßstäbe für eine unabhängige, transparente und qualitativ anspruchsvolle Tätigkeit in Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist eine mindestens dreijährige Tätigkeit als Unternehmensinsolvenzverwalter oder Sachwalter.
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