16.12.2020 - Kategorie "Insolvenzgeschehen allgemein"

Studie Automobilbranche: 18% der mittelständischen Automobilzulieferer gefährdet

18% der mittelständischen Automobilzulieferer insolvenzgefährdet

Großinsolvenzen in der Automobilindustrie 2020 mehr als verdoppelt


Der Weg zurück in die Erfolgsspur für die deutsche Automobilbranche wird lang und holprig - trotz des jüngsten Siegeszugs der Elektroautos. Die Aussichten in dieser Sparte sind weiterhin gut. Dies wird aber die Einbußen in anderen Segmenten nicht ausgleichen können. Gefährdet sind vor allem Autohändler und Automobilzulieferer, so die jüngste Studie des weltweit führenden Kreditversicherers Euler Hermes zur deutschen Automobilbranche.

 

"Es gibt Licht und Schatten in der deutschen Automobilindustrie", sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Elektroautos erleben seit dem Herbst durch die Kaufanreize einen regelrechten Boom und Rekord-Marktanteile. Das dürfte allerdings nicht ausreichen, um den Einbruch der restlichen Sparten zu kompensieren. Auch China gibt Anlass zur Hoffnung. Für Automobilzulieferer und Autohändler sieht es aktuell allerdings eher düster aus."

 

Trotz der insgesamt deutlich rückläufigen Insolvenzzahlen häuften sich gerade in der Autoindustrie sowie im eng vernetzten Metallsektor in den ersten neun Monaten 2020 große Pleiten.

 

10 Großinsolvenzen in der Automobilindustrie in den ersten 9 Monaten:+150% zum Vorjahr
"In den ersten neun Monaten des Jahres haben wir in der Automobilindustrie mit zehn großen Insolvenzen mehr als doppelt so viele Fälle gezählt wie im Vorjahreszeitraum mit vier Groß-Pleiten", sagt Van het Hof. "Auch im Metallsektor gab es mit neun großen Insolvenzen drei Mal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Das zeigt sehr deutlich, dass die Branche bereits vor der Covid-19-Pandemie teilweise vor großen Herausforderungen stand. In einigen Bereichen hat sich das nun drastisch verschärft - aber wie überall gibt es Gewinner und Verlierer."

 

Der Motor bei den Automobilzulieferern stottert derzeit merklich.Insgesamt sind die mehr als 1.000 Zuliefer-Unternehmen mit einem kumulierten Umsatz von 90 Milliarden Euro und 300.000 Beschäftigten für 75% der Wertschöpfung des Automobilsektors verantwortlich.

 

18% der mittelständischen Zulieferfirmen in Deutschland sind gefährdet, 82% stabil
"Etwa 18% der kleinen und mittelständischen Zuliefer-Unternehmen in Deutschland sind nach unserer Einschätzung aktuell gefährdet", sagt Van het Hof. "Das sind deutlich mehr als bei den Automobilherstellern (etwa 12%) oder als in anderen Branchen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass 82% der Unternehmen relativ gut aufgestellt ist.Das ist in der aktuellen Krise eine positive Nachricht."

 

Die Tier-2- und Tier-3-Zulieferer - insbesondere diejenigen, die nicht in der Elektromobilität tätig sind - sowie die kleineren Unternehmen, stehen besonders in der Schusslinie, vor allem in Süddeutschland.

 

"Sie sind nach wie vor stark von herkömmlichen Antriebsarten abhängig und verfügen nicht über genügend finanzielle Mittel, um eine Neuausrichtung mit wettbewerbsfähigen Produkten in der neuen Welt der Elektrofahrzeuge zu bewältigen", sagt Maxime Lemerle, Automobilexperte und Leiter der Branchenrisikoanalyse bei der Euler Hermes Gruppe. "Die Tier-1-Zulieferer sind im Durchschnitt finanziell stärker aufgestellt, um den Wandel vom Verbrennungs- zum Elektroantrieb zu meistern. Allerdings erwarten wir einen höheren Druck seitens der Autohersteller und die Notwendigkeit einer globalen Präsenz. Die Autohersteller selbst sind ebenfalls nicht immun: Unternehmen wären dann gefährdet, wenn sich ihre Abhängigkeit von den asiatischen Batterien verstärken würde, oder allgemeiner gesprochen, wenn sie ihre Geschäftsmodelle nicht an die neuen Trends anpassen."

 

Wenig Knautschzone bei den Autohändlern: Geringe Margen und hohe Diesel-Lagerbestände
Besonders hohe Risiken sieht die Studie des Weltmarktführers neben den Zulieferern auch bei den Autohändlern: Sie verzeichneten schon vor der Krise nur eine sehr geringe Marge zwischen 0 und 1%. Mit der Schließung von Autohändlern, Ausstellungsräumen, Automessen und Fabriken wurde die Lage noch prekärer und auch nach dem Ende des ersten Lockdowns haben sich ihre Umsätze im Vergleich zum Vorkrisenniveau nur teilweise verbessert.

 

"Autohändler leiden immer noch unter hohen Lagerbeständen von Diesel- Fahrzeugen und stehen zudem in Konkurrenz zu den Autoherstellern selbst mit neuen Online-Marketingkonzepten", sagt Lemerle. "Sie haben aufgrund der insgesamt geringen Margen und dem steigenden Wettbewerb teilweise kaum noch 'Knautschzone'."

 

Markt: Keine Rückkehr zum Vorkrisenniveau in Sicht trotz des Siegeszugs der E-Fahrzeuge
Der deutsche Markt, der größte in Europa, dürfte bis Ende 2020 mit einem Rückgang der Neuzulassungen von Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen um -22% auf 3,1 Mio. Einheiten pro Jahr abschließen, im Vergleich zu 4,0 Mio. im Jahr 2019. Autokäufe haben für die Mehrheit der deutschen Haushalte wenig Priorität. Das gilt insbesondere dann, wenn die Aussichten in Bezug auf Beschäftigung und Löhne unsicher sind oder ungünstig bleiben - auch wenn der zunehmende Wunsch der Verbraucher nach einer "grüneren" Mobilität den Aufschwung bei den E-Fahrzeugen unterstützt. Letztere erreichten bereits im September einen Rekord-Marktanteil von 15,6%. Die für 2021 erwartete Erholung des deutschen Markts (+14% im Vergleich zum Vorjahr) könnte den Abschwung von 2020 nur teilweise kompensieren und wäre nur von kurzer Dauer: Der Markt dürfte das Rekordniveau von vor der Krise nicht wieder erreichen und in den kommenden Jahren unter 3,6 Mio.Einheiten pro Jahr bleiben.

 

All eyes on China: Chinesischer Markt ist mit Erholung der Lichtblick für Autobauer
Für die Automobilhersteller und -zulieferer ist neben dem Heimatmarkt vor allem die Entwicklung der Exportmärkte von entscheidender Bedeutung: Der Exportanteil der deutschen Automobilindustrie lag zwischen 2015 und 2019 bei durchschnittlich 64,5%.

 

"In Europa und den USA erwarten wir weiterhin einen hart geführten (Preis-)Wettbewerb, da beide im laufenden Jahr schrumpfen und auch mit dem erwarteten Wachstum im kommenden Jahr das Vorkrisenniveau deutlich verfehlen dürften", sagt Lemerle. "Günstiger sind die Aussichten in China. Zum einen sind Mobilitätseinschränkungen dort früher aufgehoben worden und zum anderen gibt viele Erstkäufer, die im Zuge der Pandemie von öffentlichen Verkehrsmitteln oder gemeinsam genutzter Mobilität auf ein eigenes Auto umgestiegen sind."

 

Der chinesische Markt verzeichnete von April bis November 2020 acht aufeinander folgende Monate der Erholung und dürfte das Jahr mit einem Rückgang von -2% abschließen, bevor er 2021 um +12% auf 28,3 Mio. verkaufte Einheiten ansteigen dürfte.

 

"Die deutschen Autobauer sind gut positioniert, um von diesem Erholungstrend zu profitieren", sagt Lemerle "Denn dieser spielt sich auch im Premiumsegment ab, und die meisten deutschen Hersteller haben einen relativ hohen Anteil ihres Absatzes in China. Das ist ein echter Lichtblick für die Branche."

 

Strengeres Liquiditätsmanagement und hohe Investitionen notwendig
Covid-19 hat in der Automobilbranche allerdings deutliche Bremsspuren hinterlassen. Die ersten neun Monate des Jahres sind von einem massiven Einbruch bei Umsätzen und Margen gekennzeichnet, trotz einer Verbesserung in 3. Quartal: OEM-Hersteller büßten rund 18% der Umsätze ein, Zulieferer -20%, die Reifenindustrie -18% und die Autovermietung sogar -43%. Das beeinflusste auch das operative Ergebnis in allen Sparten negativ: Das EBITDA brach bei den OEM um rund ein Drittel ein (-34%), bei Zulieferern um die Hälfte (-50%), -29% bei der Reifenindustrie und mit -87% am dramatischsten in der Autovermietung.

 

Die Unternehmen greifen zu Mitteln wie dem Abbau von Lagerbeständen, der sich kurzfristig positiv auswirkt, ebenso wie die schnellere Einführung neuer Modelle nach Wiederaufnahme der Produktion. Der Verkauf schadstoffarmer Fahrzeuge führt jedoch bisher zu niedrigeren Margen im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren.

 

"All dies zwingt die Unternehmen zu Personalabbau und Stellenkürzungen, zur Anpassung ihrer Portfolios und Produktionskapazitäten, sowohl bei Produkte und Marken als auch bei Absatzmärkten", sagt Van het Hof. "Hinzu kommt das 'Finetuning' ihrer Investitionspläne. Das ist ein Spagat: Ziel ist es einerseits, ihre Liquidität zu schützen und bei den Ausgaben zu bremsen und andererseits, sich mit gezielten Investitionen eine gute Ausgangsposition zu sichern und Gas zu geben für den langsamen und holprigen Weg zurück in die Erfolgsspur."

 


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