VID: „Staateninsolvenz als Lösung für Argentinien?“
Ein geregeltes Insolvenzverfahren könnte Argentinien dringend benötigte Handlungsspielräume verschaffen.
Spätestens seit der Eurokrise im Jahr 2010/2011 wurden die Rufe nach einem Insolvenzverfahren für Staaten lauter. Die aktuellen Ereignisse um die Schuldenkrise Argentiniens rücken diese Überlegung erneut in den Fokus einer möglichen Problemlösung.
Die von Finanzinvestoren bewirkte Entscheidung des New Yorker Gerichts zeigt, dass der vor allem im angloamerikanischen Raum bevorzugte Weg einer vertraglichen Regelung zwischen dem zahlungsunfähigen Staat und seinen Gläubigern keine Lösung der Krisensituation ist. Ähnlich einem Unternehmen könnte auch ein Staat eine zweite Chance über die Sanierung durch ein Insolvenzverfahren erhalten. Bereits 2011 hatten wir ebenso wie der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums und der von der UN eingesetzten Kommission zu einem Staateninsolvenzverfahren auf diese Möglichkeit hingewiesen.
Zugegebenermaßen kann man die Insolvenz eines Staates nicht mit der Insolvenz von Unternehmen oder Privatpersonen vergleichen. Auch liegt es auf der Hand, dass einige insolvenzrechtliche Instrumentarien und Mechanismen in einer Staateninsolvenz nicht eingesetzt werden können. Kaum vorstellbar ist etwa die Einsetzung eines externen Insolvenzverwalters oder die Verwertung des gesamten Staatsvermögens zugunsten der Gläubiger.
Parallelen lassen sich aber durchaus bei der Verwertung einiger Teile des Staatsvermögens ziehen. Das Staatsvermögen zu verwerten, verbietet sich nicht grundsätzlich. Der Verkauf staatlichen Eigentums stößt allerdings spätestens da an seine Grenzen, wo die Funktionsfähigkeit des insolventen Staates betroffen ist. „Auch einem insolventen Staat muss ähnlich wie einer Privatperson ein schützenswerter Kernbereich, sozusagen ein staatliches Existenzminimum, zugestanden werden“, so Dr. Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter.
Ein Blick in den Werkzeugkasten des deutschen Unternehmensinsolvenzrechts bietet auch Ansätze wenn man Lösungen sucht für die Insolvenz von Staaten.
Dort findet sich nämlich das „Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung“. Statt eines Insolvenzverwalters bestellt das zuständige Insolvenzgericht einen Sachwalter, der die Geschäftsleitung begleitet und überwacht. Die in der deutschen Insolvenzordnung vorgesehene Funktion eines begleitenden Sachwalters könnte im Fall einer Staateninsolvenz übernommen werden. Ebenso wie in der Insolvenzordnung von Unternehmen und Privatpersonen kann eine Akzeptanz für die Eigenverwaltung nur dann geschaffen werden, wenn diese durch einen neutralen Dritten oder aber ein entsprechendes Gremium, etwa ähnlich der Troika, in Zeiten der griechischen Finanzkrise, beaufsichtigt wird.
Der sich selbst verwaltende und unter Aufsicht stehende Staat hätte sodann die Verpflichtung, unter Aufsicht des Sachwalters, einen Insolvenzplan auszuarbeiten. Wie bereits bei den derzeitigen Sanierungsbemühungen Argentiniens, muss in einem solchen Insolvenzplan deutlich werden, dass der insolvente Staat auch selbst alle nötigen Schritte zur Konsolidierung seiner Staatsfinanzen ergreift. Dabei dürfte auch eine teilweise Verwertung des Staatsvermögens kein grundsätzliches Tabu darstellen.
Jeder Insolvenzplan und damit auch der Insolvenzplan eines Staates greift in die elementaren Rechte der Gläubiger ein. Daher müssten alle wesentlichen Gläubiger in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Dies ist angesichts der Globalisierung der Staatsfinanzierung allein schon organisatorisch eine große Herausforderung. Eine Herausforderung allerdings, die zwingend gelöst werden muss. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil ebenso wie bei der Insolvenz von Unternehmen mit einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Gläubigern zu rechnen ist, denen ausschließlich an der optimalen Durchsetzung ihrer Forderung gelegen ist. Strategische, soziale oder ähnliche Überlegungen sind diesen Gläubigern fremd. Gerät ein Staat in die Zahlungsunfähigkeit, kann also mit deren freiwilliger Mitarbeit, d. h. Zugeständnis, nicht gerechnet werden. Daher wird zu Recht diskutiert, dass eine Zustimmung durch die Gläubiger nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit, erfolgen kann. Die nicht an einer Abstimmung teilnehmenden oder unterlegenen Gläubiger müssten das in der Abstimmung gefundene Ergebnis zwangsweise mittragen. Dies ist zwingende Voraussetzung für eine umfassende Lösung und heute auch schon das tragende Prinzip des Insolvenzplanverfahrens in der Unternehmensinsolvenz. Ein solcher Zwang setzt grundsätzlich voraus, dass die betroffenen Gläubiger sich zuvor darauf einstellen und über ihr Investment mit dieser Rahmenbedingung entscheiden können. Eine rückwirkende Einführung solcher Insolvenzregeln wäre für die Gläubiger jedenfalls nach deutschem Verfassungsrecht nur unter rechtsstaatlich sehr strengen Voraussetzungen möglich.
Schließlich wird man nicht umhin kommen, ein Insolvenzverfahren von Staaten auch einer gerichtlichen Aufsicht zu unterstellen. Dafür muss ein internationales Insolvenzgericht geschaffen werden. Dieses Gremium wäre von internationalen Rechts- und Wirtschaftsexperten zu besetzen und so zu organisieren, dass es ebenso wie ein deutsches Insolvenzgericht das Insolvenzplanverfahren ordnet und überwacht. Im Hinblick auf die globalisierten Finanzierungsstrukturen muss ein solches Gericht unabhängig von bestimmten Gläubigergruppen oder auch bestimmten als Staaten auftretenden Gläubigern sein.
Begleitend zu diesem Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung müsste auf die Insolvenzanmeldung des Staates eine drei bis sechsmonatige Aussetzung der Zins- und Tilgungsleistungen sowie etwaiger Vollstreckungsmaßnahmen erfolgen. Diese Zeit muss der Staat nutzen, um einen umfassenden Sanierungsplan auszuarbeiten und sowohl den innerstaatlichen Entscheidungsgremien als auch dem internationalen Insolvenzgericht bzw. den Gläubigern vorzulegen.
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