Insolvenzanfechtung: BGH stärkt Lieferanten durch präzisierte Rechtsprechung
Bei Teil- oder Ratenzahlungen muss der Gläubiger nicht mehr auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit schließen
Mit dem heute veröffentlichten Urteil (BGH, Urt. v.
14.07.2016 – IX ZR 188/154) hat der Bundesgerichtshof seine bisherige
Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung gegenüber
Lieferanten in unerwarteter Weise sehr deutlich präzisiert und dabei
deren Position deutlich gestärkt. Gläubigern kann nicht mehr einfach
unterstellt werden, dass sie die drohende Zahlungsunfähigkeit des
Schuldners gekannt haben, nur, weil dieser nicht pünktlich
oder vollständig gezahlt hat. Dies soll selbst dann gelten, wenn der
Schuldner den Gläubiger um die Gewährung von Teil- oder Ratenzahlungen
bittet und hierbei den vollständigen Ausgleich der Gesamtverbindlichkeit
in Aussicht stellt. Weiterhin fordert der BGH,
dass die Gerichte die Beweisanzeichen in jedem konkreten Fall besonders
würdigen müssen und diese nicht schematisch anwenden dürfen. Mit der
unerwarteten Entscheidung erhöht das Gericht die Chancen,
Zahlungsverlangen der Insolvenzverwalter erfolgreich entgegentreten
zu können.
BGH erteilt Vereinfachungen eine Absage
Bislang
galt nach Meinung vieler Gerichte die Auffassung, dass ein Gläubiger
die Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners erkennt, wenn dieser bei
Fälligkeit nicht vollständig oder nicht pünktlich
zahlt (Zahlungseinstellung). Bei einer später eintretenden Insolvenz
des Schuldners musste der Gläubiger alle ab diesem Zeitpunkt erhaltenen
Zahlungen an den Insolvenzverwalter herausgegeben, selbst wenn er einen
Anspruch auf dieses Geld hatte. Diese bereits
in den vergangenen drei Jahren entwickelte, aber häufig kritisierte
Vereinfachung wurde durch die zahlreichen Urteile des BGH aus diesem
Jahr (BGH, Urt. v. 16.06.2016 – IX ZR 23/15; BGH, Urt. v. 09.06.2016 –
IX ZR 174/15, BGH Urt. v. 24.03.2016 – IX ZR 242/13;
BGH, Urt. 25.02.2016 – IX ZR 109/15; alle Urteile unter www.insolvenzanfechtung-
„Wir
begrüßen die Konkretisierung der bisherigen Urteile, denn in den
vergangenen Jahren haben wir in unzähligen Anfechtungsprozessen
vertreten und stets darauf bestanden, dass auch nach der
Rechtsprechung des BGH eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände des
Einzelfalls vorgenommen werden muss und die
Beweisanzeichenrechtsprechung nicht schematisch auf jeden Fall
übertragen werden darf“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Olaf Hiebert von der
Wirtschaftskanzlei
Buchalik Brömmekamp. „Leider war es häufig ein Kampf gegen Windmühlen.
Der Senat stärkt mit diesem Urteil nun unsere Argumentation den Rücken
und macht noch einmal den Gerichten deutlich, dass eine
Auseinandersetzung mit dem konkreten Fall unerlässlich ist“,
so Dr. Hiebert weiter.
Erleichterung für Lieferanten – Präzisierung der bisherigen Rechtsprechung
In dem konkreten Fall entschied das Gericht zu Gunsten eines Lieferanten, der Baumaterialien an einen Dachdecker geliefert hatte. Der Schuldner geriet mit seinen Zahlungen in Verzug und teilte dem Gläubiger mit, die offenstehende Forderung nicht sofort und nicht in einem Zuge begleichen zu können. Der Schuldner entrichtete jeweils gegen Ende des Monats Teilzahlungen in Höhe von 1.000 bis 2.000 Euro an den Gläubiger. Die offenen Forderungen betrugen zwischenzeitlich rund 10.000 Euro und waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch in Höhe von rund 7.000 Euro offen. Der Insolvenzverwalter verlangte die Erstattung von insgesamt rund 6.000 Euro, da seiner Meinung nach eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen wurde. Die Klage blieb ohne Erfolg.
Der BGH stellt klar: Der Gläubiger kennt die Zahlungseinstellung des Schuldners, wenn er selbst seine Forderungen eingefordert hat, diese verhältnismäßig hoch sind und er weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, die Forderungen zu erfüllen. Wenn ein gewerblich tätiger Schuldner monatelang in einen Rückstand von erheblicher Höhe mit betriebsnotwendigen fortlaufenden Verbindlichkeiten (Steuern, Sozialabgaben, Löhne und Mieten) gerät und danach unregelmäßige Teilzahlungen ohne Minderung der Gesamtschuld leistet, so deuten diese Tatsachen auf seine Zahlungsunfähigkeit hin.
Dieser im Einzelfall anzuwendende Grundsatz wurde von den Insolvenzverwaltern und den Gerichten häufig auf jeden ähnlich gelagerten Fall schematisch übertragen. Die genannten Urteile aus den Jahren 2012 bis 2016 bestärkten diese Praxis.
Eine
häufig vorkommende Konstellation hat der BGH nunmehr zum Anlass für
eine Präzisierung und Klarstellung genommen: Erklärt der Schuldner
gegenüber dem Gläubiger, dass er einen fälligen Betrag
nicht sofort und in voller Höhe leisten kann, muss der Gläubiger
hieraus allein nicht den zwingenden Schluss ziehen, dass der Schuldner
zahlungsunfähig ist, wenn der Schuldner den vollständigen Ausgleich des
Betrages in Aussicht stellt. Vielmehr sind sämtliche
Umstände des Einzelfalls zu würdigen; neben dieser stets verwendeten,
allgemein gehaltenen Formel liefert der BGH mit dieser Entscheidung
zudem sehr konkrete und für die Praxis wichtige Hinweise.
Vermeidung der Insolvenzanfechtung erfordert Weichenstellung des Gläubigers
Diese
Präzisierung in dem vorliegenden Urteil zeigt deutlich, dass kleinere
Lieferanten vor einer Anfechtung geschützt werden sollen. Sie liefert
zugleich Verhaltensempfehlungen für Gläubiger
und den Fahrplan für eine Verteidigungsstrategie. Wenn der Gläubiger
einige wichtige Dinge beachtet, kann er einer späteren
Insolvenzanfechtung entgehen. Dies gilt auch für Gläubiger, die keine
Lieferanten sind, da die Kernaussagen auch auf sie zu übertragen
sind.
Mahnungen
Die
Mahnung eines Gläubigers ist nicht schädlich, wenn der Schuldner auf
diese Mahnung beispielsweise mit einer Ratenzahlungsbitte reagiert.
Damit ist das bisher vielfach genutzte Beweisanzeichen
der Mahnung für eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vom Tisch.
Künftig muss der Insolvenzverwalter genau aufzeigen, wie der Schuldner
auf die Mahnung reagiert hat. Denn das monatelange völlige Schweigen des
Schuldners auf Rechnungen und vielfältige Mahnungen
kann für sich genommen ein wichtiges Indiz für eine Zahlungseinstellung
begründen, die sich dem Gläubiger dann als Zahlungsunfähigkeit
offenbart (Rn. 23 unter Hinweis auf BGH, Urt. 25.02.2016 – IX ZR
109/15). Erbringt der Schuldner nach einer Mahnung zumindest
eine Teilzahlung, folgt hieraus nicht mehr zwingend die Kenntnis des
Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit.
Keine Zwangsmaßnahmen
Zudem
hat das weitere Verhalten des Gläubigers erhebliches Gewicht:
Unterlässt er etwa Maßnahmen der Titulierung oder Vollstreckung in der
Erwartung, der Schuldner werde freiwillig zahlen, spricht
dies gegen eine Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit.
Der Gläubiger sollte deshalb eine Vollstreckung daher unbedingt
vermeiden.
Aufrechterhalten der Geschäftsbeziehung
Hält
der Gläubiger die Geschäftsbeziehung zu dem Schuldner aufrecht und
verhängt er nicht etwa zur Durchsetzung seiner Forderungen eine
Liefersperre, so ist auch dies für den Gläubiger zu gewichten.
Dabei soll es – und dies ist unter Berücksichtigung der bisherigen
Rechtsprechung anders – unschädlich sein, wenn der Gläubiger die weitere
Belieferung des Schuldners von einer Barzahlung (Vorkasse) abhängig
macht. Es entspreche einer „vernünftigen kaufmännischen
Vorsicht“ keine zusätzlichen Kredite zu gewähren. Aus diesem Verhalten,
so der Senat, könne nicht notwendigerweise auf eine Zahlungseinstellung
geschlossen werden.
Entwicklung der Gesamtverbindlichkeiten und Bedeutung des Lieferanten
Einen
weiteren gewichtigen Faktor stellt die Entwicklung und die Qualität der
Gesamtverbindlichkeiten dar. Im konkreten Fall wurden die
Gesamtverbindlichkeiten um rund ein Drittel zurückgeführt.
Zudem betrafen sie ausschließlich nicht betriebsnotwendige laufende
Verbindlichkeiten. Der Schuldner hätte den Lieferanten ohne Weiteres
austauschen und die Baustoffe von Dritten beziehen können.
Handlungsempfehlungen für den Gläubiger
Die bisherigen Handlungsempfehlungen sind vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung zu präzisieren. Für Gläubiger gilt:
· Der Gläubiger sollte keinen Druck gegenüber dem Vertragspartner ausüben; der Gläubiger sollte austauschbar bleiben
· Grundsätzlich sind großzügige Zahlungsziele einzuräumen, damit dem Schuldner die fristgerechte Zahlung leichter fällt
· Kommt es zu Rückständen, sollte der Gläubiger rechtzeitig mit dem Schuldner Kontakt aufnehmen, um größere Rückstände zu vermeiden. Auf eine Mahnung hin sollte der Schuldner ein Angebot zur Tilgung der Rückstände unterbreiten und dieses auch erfüllen
· Der Gläubiger sollte die Geschäftsbeziehung zu dem Schuldner aufrechterhalten und unter Vorkasse liefern; weitere Lieferantenkredite sind nicht erforderlich, sofern der Schuldner dadurch nicht zahlungsunfähig wird
· Der Gläubiger sollte prüfen, ob die Gesamtverbindlichkeiten durch die Zahlungen tatsächlich zurückgeführt werden
· Der Gläubiger sollte dem Schuldner weder durch ausufernde Mahnungen noch mit Vollstreckungshandlungen, Inkassobüros oder Rechtsanwälten drohen; wer mit der Vollstreckung droht, muss auch vollstrecken; freiwillige Zahlungen des Schuldners sind ab diesem Zeitpunkt in aller Regel anfechtbar
·
Der
Gläubiger sollte die Geschehnisse für seine Zwecke hinreichend
dokumentieren, um den Sachverhalt auch Jahre später noch rekonstruieren
zu können, da vor Gericht derjenige gewinnt,
der etwas darlegen und beweisen kann
Übliches Geschäftsgebaren ist zu berücksichtigen
Dieses Urteil ist ein Paukenschlag, denn der BGH betont anhand konkreter Beispiele deutlicher als je zuvor, dass die Gerichte eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vornehmen müssen, um vorübergehende Liquiditätsengpässe von einer Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen. Volatile Umsätze durch beispielsweise witterungs- und jahreszeitbedingt schwierige, sich aber regelmäßig verbessernde Auftragslagen sowie ein kaufmännisch vernünftiges Verhalten sind in die Abwägung mit aufzunehmen. Die sehr konkreten Hinweise des BGH für die Auslegung werden für Lieferanten in der Praxis großen Nutzen haben.
„Andererseits macht die Entscheidung deutlich: Wer sein Geld im Fall der Insolvenz seines Schuldners behalten möchte, bedarf mehr denn je einer auf Insolvenzanfechtung spezialisierten Beratung. Das richtige Verhalten bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Vertragspartners ist entscheidend und eine sachgerechte Verteidigung gegen behauptete Anfechtungsansprüche ist – gerade vor Gericht – unverzichtbar. Das Anfechtungsrecht ist noch komplizierter geworden und die Rechtsprechung kaum kalkulierbar“, so Dr. Hiebert.
Wollen Sie umgehend informiert werden, wenn es Neuigkeiten zu diesem Verfahren gibt?
Testen Sie kostenfrei und unverbindlich 3 Tage lang diese Funktionalität - zum Beispiel über unser "Risk-Paket" - und wir benachrichtigen Sie, sobald zum Verfahren neue Nachrichten oder neue Beschlüsse vorliegen.