12.05.2016 - Kategorie "Insolvenzgeschehen allgemein"

Krankenhäuser im Insolvenzverfahren – zwischen Intensivbeatmung und Therapieabbruch

Immer mehr Krankenhäuser sind insolvent

Das neunte Berliner Restrukturierungsforum hat sich am 3. Mai 2016 dem sehr praxisorientierten Thema „Krankenhäuser in der Krise: Kollision zwischen wirtschaftlichen und öffentlichen Interessen“ gewidmet.


Vier Experten diskutierten über die Krankenhauslandschaft in Deutschland und gaben Einblicke in die derzeitige Situation der deutschen Kliniken. 120 Gäste verfolgten diese spannende Diskussion. 


Die Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland ist rückläufig – innerhalb von zehn Jahren verringerte sich diese um 15 Prozent. Auffällig dabei ist, dass sich die Markaustritte geografisch konzentrieren, und zwar in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Ob die Anzahl der Krankenhausinsolvenzen in naher Zukunft signifikant (weiter) steigen wird und welchen besonderen Gegebenheiten sich die Beteiligten bei der Restrukturierung von Kliniken gegenübergestellt sehen, untersuchte das Berliner Restrukturierungsforum am 3. Mai 2016. Wie aktuell das Thema war, zeigte die Entwicklung am Vortag. Dort hatte die Geschäftsführung des Dominikus-Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen einen Antrag auf Insolvenzeröffnung in Eigenverwaltung gestellt.


Mit ihrem Impulsreferat eröffneten Dr. Rudolf Kösters (Ehrenpräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der St. Franziskus Stiftung Münster) und Dr. Jörg Bornheimer (Rechtsanwalt und Partner bei der GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB) die Veranstaltung und boten tiefe Einblicke in die deutsche Krankenhauslandschaft. Die beiden Krankenhausexperten erklärten nicht nur die Marktgegebenheiten, sondern eben auch die gesetzlichen Anforderungen der Krankenhäuser, die bei einer Restrukturierung – egal ob innerhalb oder außerhalb der Insolvenz – dringend beachten werden müssen.


Dr. Bornheimer, der aktuell als Generalbevollmächtigter drei Eigeninsolvenzverfahren von Krankenhausträgergesellschaften mit insgesamt sieben Krankenhäusern begleitet, bezeichnete es während seines Vortrages als „Kunstfehler“, wenn man bei der Restrukturierung eines Krankenhauses die Alternative Insolvenz nicht in Betracht ziehe. Der Insolvenzantrag sei seiner Ansicht nach ein Weckruf für alle Beteiligten. Erstmalig würden sich alle Verantwortlichen ernsthaft mit der nachhaltigen Bewältigung der Finanzierungsprobleme eines Krankenhauses beschäftigen. Es käme einerseits zu einer Professionalisierung der Trägerebene und andererseits würden die Interessensgegensätze zwischen Krankenhausträgern, Kommune, Bezirksregierung/Landesministerien, Bevölkerung und Presse aufgebrochen.


Doch besonders bei karitativen, kommunalen Trägern sei das ein großes Problem. Dr. Kösters führte als Begründung, warum die Insolvenzanträge so spät gestellt werden, an, dass die Verantwortlichen extrem den Imageverlust, den Gestaltungsverlust, den ungewissen Ausgang und den großen Vertrauensverlust bei den Patienten ebenso wie bei der Belegschaft fürchten. Es seien viele Hemmnisse da, diesen „letzten“ Schritt zu machen. Oft seien die Verantwortlich einfach überfordert mit der Rettung und kennen die Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzrecht nicht.


Auch Dagmar Schmidt (Unternehmensbereichsleiterin Strategie/Leistungsverhandlung Krankenhäuser bei der AOK Nordost) ist dieses Problem vertraut: „Insolvenz ist ein Tabuwort in der Krankenhauslandschaft. Die Kliniken haben große Angst, dass ihre Reputation leidet und ihnen die Fallzahlen wegbrechen“, so Schmidt. Sie versuche, im Vorfeld Lösungen mit den Krankenhäusern zu finden. Jedoch seien ihre Spielräume sehr begrenzt, da es klare gesetzliche Regelungen gebe. „Wir haben eben keinen ‚Notfalltopf‘“, erläuterte Schmidt weiter. Wichtig für sie sei es zudem, dass man sich als Krankenkasse einbringe. „Wir führen Gespräche in den Krankenhausplanungsrunden und denken gemeinsam über Lösungen und neue Varianten nach. Dabei sprechen wir mit den betroffenen Kliniken und handeln mit Augenmaß“, so die Bereichsleiterin.


Michael Gabler (Bereichsleiter Firmenkunden bei der Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG) plädierte für eine frühzeitige Kommunikation mit den Krankenhäusern, denn alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen, sei entscheidend. Bei der Finanzierung von Krankenhäusern spiele für ihn eine klassische Unternehmensbewertung die entscheidende Rolle. Stichworte seien dabei Bilanzstruktur, Mittelfristplanung, strategische Ausrichtung und Prozessthemen. „Wichtig ist für uns auch, wie zukunftsfähig das Krankenhaus aufgestellt ist. Zudem schauen wir, ob ausreichend Know-how vertreten ist und in der Struktur die notwendige Voraussicht gegeben ist. Wenn all diese Punkte passen, investieren wir auch gern“, so Gabler. Denn den Markt werde es immer geben, auch wenn vielleicht in konsolidierter Form.


Zur Restrukturierung gaben Dr. Kösters und Dr. Bornheimer den Beratern und Verwaltern noch diverses Hintergrundwissen mit auf den Weg. Diese müssen das Krankenhausrecht gut kennen, denn die Restrukturierungsmöglichkeiten seien recht eingeschränkt u.a. durch die Festlegungen des Krankenhausplans (Stichwort: Versorgungsauftrag), die einzuhalten sind. Lukrative Leistungen dürfen u. U. nicht erbracht werden und auch eine Steigerung der Anzahl der Leistungen (Patienten) sei oftmals nicht möglich. Vor allem werde sie mit Preisabschlägen bestraft (sog. Mehrerlösausgleich).


Restrukturierungsmöglichkeiten sieht Dr. Kösters insbesondere darin, OP-Kostenmanagement, Aufnahmemanagement und Entlassungsmanagement zu optimieren. Dafür seien aber Fachleute von Nöten, die alles genau beleuchten und auf die Probe stellen. Auch ein Teil der Gewohnheiten und das Verhalten der Beteiligten müsste geändert werden.


Als Ergebnis waren sich alle Beteiligten einig: Es gibt eine nennenswerte Anzahl von Krankenhäuser, die insolvenzgefährdet sind. Problem seien vor allem die aufgelaufenen Jahresverluste und nicht getätigten Investitionen aufgrund der geringen Investitionsförderung der Länder. Und es existieren laut Aussage der Referenten nur noch wenige Krankenhäuser, die nicht wissen, was die Zeit geschlagen hat. Eine gute Unterstützungsmöglichkeit aus Sicht von Frau Schmidt ist der Krankenhausstrukturfonds: „Das Problem ist nur, dass die Krankenhäuser skeptisch sind und es eher als eine Art ‚Abwrackprämie‘ betrachten. Dem ist natürlich nicht so. Wir sensibilisieren die Krankenhäuser, dort mitzumachen, denn es ist aus unserer Sicht eine gute Chance“.


Das Berliner Restrukturierungsforum brachte mit seiner neunten Veranstaltung rund 120 Experten der Sanierungsbranche zusammen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Rüdiger Wienberg, hww hermann wienberg wilhelm, und Christian Egle, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Das Berliner Restrukturierungsforum ist eine Plattform für Experten der Branche und wird von hww hermann wienberg wilhelm, GÖRG Rechtsanwälte Partnerschaft mbB und Ernst & Young GmbH in Berlin veranstaltet. Es bringt zwei Mal pro Jahr alle an der Sanierung eines Unternehmens Beteiligten zusammen. Hochrangige Gäste stellen aus verschiedenen Blickwinkeln ein aktuelles Thema vor und teilen ihr Expertenwissen mit den Gästen in der Diskussion.


Mehr unter: www.berliner-restrukturierungsforum.de. Die nächste Veranstaltung findet im Herbst 2016 statt.


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