Zweites Stuttgarter Restrukturierungsforum: Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren
Das Stuttgarter Restrukturierungsforum griff mit seiner zweiten Veranstaltung ein derzeit heiß diskutiertes Thema auf.
Am 14. Juni 2016 verfolgten rund 140 Gäste die
Diskussion zum „Vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren“. Die Besonderheit: Dr.
Miriam Parmentier gab als Abgeordnete Nationale Sachverständige Einblicke in
die Arbeit der Europäischen Kommission und versprach, die Anregungen der
Diskutanten und anwesenden Gäste mit nach Brüssel zu nehmen.
Zum Jahresende 2016 wird mit einem Legislativvorschlag der Europäischen Kommission gerechnet, dessen Fokus auf der „frühzeitigen Restrukturierung“ und einer „zweiten Chance“ für Unternehmen ohne Belastung mit dem Stigma einer Insolvenz liegt. Dabei geht es um ein präventives Restrukturierungsverfahren mit vorinsolvenzlicher Anknüpfung, d.h. ohne Einleitung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens und ohne Vermögensbeschlag. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren beschäftigt die Sanierungsbranche und ist in aller Munde. Grund genug also, dieses spannende Thema im Rahmen des zweiten Stuttgarter Restrukturierungsforums aufzugreifen.
Nach den einleitenden Worten von Dr. Alexandra Schluck-Amend (CMS Hasche Sigle) beleuchtete Dr. Miriam Parmentier das Thema im Detail. Die Besonderheit: Als Abgeordnete Nationale Sachverständige berichtete sie aus erster Hand von der Arbeit der Europäischen Kommission und über den geplanten Legislativvorschlag. Zunächst gab sie dabei einen Überblick über die Kapitalmarktunion als zentrale Priorität der EU Kommission. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren bzw. das präventive Restrukturierungsverfahren – wie die EU Kommission es bezeichnet – sei als eine zweite Chance für einen wirtschaftlichen Neuanfang für Unternehmen gedacht. Dabei würde sich die Kommission auch zum Teil an nationalen Systemen orientieren, die erfolgreich funktionieren. Dr. Parmentier berichtete von der Entwicklung hin zum Legislativvorschlag, der für Ende 2016 angekündigt ist. Die öffentliche Konsultation, bei der alle Beteiligten via Fragebogen im Internet ihre Anmerkungen abgeben konnten, lief bis zum 14. Juni 2016 – von daher konnte Dr. Parmentier noch nichts über die Ergebnisse berichten. Jedoch kündigte sie an, dass es am 12. Juli 2016 eine öffentliche Konferenz geben würde, bei der voraussichtlich auch eine vorläufige Auswertung der Konsultation vorgestellt werde.
In der anschließenden Diskussion stellten die beiden Moderatoren, Dr. Holger Leichtle (Schultze & Braun) und Martin Schoebe (hww hermann wienberg wilhelm), den drei weiteren Diskutanten zunächst die Frage, ob wir in Deutschland wirklich ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren brauchen. Volker Wintergerst (Wintergerst Societät für Unternehmer-Beratung GmbH) brach zunächst eine Lanze für das ESUG, das aus seiner Sicht bereits neue Möglichkeiten für Unternehmer geschaffen habe, ihr Unternehmen fortzuführen. Jedoch hätten die Erfahrungen der vergangenen Jahre gezeigt, dass viele Unternehmer nach wie vor die Insolvenz und deren Stigma scheuen. Daher begrüßte er die Einführung eines solchen Verfahrens als willkommene Ergänzung der bisherigen Sanierungsinstrumente, vor allem vor dem Hintergrund der zusätzlichen Chance für das Unternehmen. Der erfahrene Sanierungsberater glaubte aber, dass das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren eher nur eine kleine Nische betreffen werde. Auch Michael Pluta (PLUTA Rechtsanwalts GmbH), der dankenswerterweise spontan für einen erkrankten Referenten eingesprungen war, hob das ESUG und die Eigenverwaltung hervor: „Wir haben mit der Eigenverwaltung ein Instrument, was dies leisten sollte, es aber nicht leisten konnte wegen der Stigmatisierung durch das Wort Insolvenz. Denn der große Geburtsfehler ist, dass es in der Insolvenzordnung verankert ist“. Seine Empfehlung daher: Die Eigenverwaltung müsse aus der Insolvenzordnung herausgeholt werden – „Neuer Name, neues Glück“. Dann würde ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren nicht von Nöten sein, so der erfahrene Insolvenzverwalter. Problematisch fand er, dass im Augenblick noch völlig unklar sei, was kommen werde, und es einfach
noch sehr viele Spekulationen gebe. Aus seiner Sicht werde das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren nur Sonderfälle betreffen und eher ein Ausnahmetatbestand sein.
Prof. Dr. Christoph Thole (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess-und Insolvenzrecht, Europäisches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht, Eberhard Karls Universität Tübingen) zeigte sich besorgt über die Qualität des späteren „Produktes“ vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren. Für ihn war vor allem die klare Abgrenzung zum Insolvenzverfahren sehr wichtig: „Ein Quasi-Insolvenzverfahren vor dem Insolvenzverfahren funktioniert nicht“. Sein Wunsch an ein vorinsolvenzliches Verfahren: Es solle begrenzt und leise sein.
Befragt nach den Eintrittsbarrieren warnte Prof. Thole davor, das Verfahren zu sehr aufzuladen bzw. durch eine Gutachtenflut zu überfrachten. Es sollten seiner Meinung zu Beginn nicht zu große Hürden aufgebaut werden. Für Wintergerst reiche bereits das Vorliegen einer Krisensituation aus, um ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren zu starten. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit mache als Eintrittsbarriere aus seiner Sicht Sinn, jedoch müsse dieses weit genug von einer Zahlungsunfähigkeit sein, da es sonst zu nah an der Insolvenzantragspflicht sei. Dr. Parmentier gab an dieser Stelle zu bedenken, dass man die Diskussion über eine mögliche Eintrittsbarriere nicht ausschließlich auf der Grundlage deutscher Rechtsfiguren führen sollte.
Dass eine gerichtliche Beteiligung notwendig sei, darüber waren sich die Referenten einig. Denn ohne ein Gericht werde es nicht gehen, um das Verfahren abzuschließen, damit es rechtswirksam werde, so der einhellige Tenor. Zudem sei die gerichtliche Beteiligung notwendig, sobald es um den Eingriff in die Rechte Dritter gehe. Der Wunsch der Referenten ging deutlich in Richtung eines zentralisierten Gerichts. Nach Ansicht von Pluta müsse das Gericht sachkundig sein und vor allem auch über betriebswirtschaftliche Kenntnisse verfügen und sich nur mit diesem Thema auseinandersetzen. Auch Prof. Thole sprach sich für die Spezialisierung und Zentralisierung der Gerichte aus. Zudem wünschte er sich klare Prüfungspunkte bzw. Standards für die Gerichte.
Am Ende wagten die Referenten einen Blick in die Zukunft: Der Wunsch von Prof. Thole war es, das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren auf eine enge Gruppe – zum Beispiel auf die Finanzgläubiger – zu begrenzen. Er befürchtete aber auch, dass die Errungenschaften der Insolvenzplanverfahren entwertet werden könnten. Wintergerst wünschte sich ein Verfahren, das schnell, leise und auch kostengünstig sei. Und es solle deutlich vor dem Insolvenzverfahren liegen. Und Brüssel? Mit Blick auf die fortdauernden vorbereitenden Arbeiten für den Gesetzgebungsvorschlag konnte Dr. Parmentier naturgemäß noch nichts zu dessen Ausgestaltung sagen. Sie versprach aber allen Diskutanten und Gästen, deren Anmerkungen aus der Diskussion mit nach Brüssel zu nehmen.
Die Veranstalter des Stuttgarter Restrukturierungsforums sind CMS Hasche Sigle, Ebner Stolz, hww hermann wienberg wilhelm und Schultze & Braun. Bernhard Steffan von Ebner Stolz: „Die hohe Teilnehmerzahl hat uns gezeigt, dass wir mit unserer Veranstaltung und dem Thema genau richtig liegen“. Und er blickt bereits in die Zukunft: „Im Herbst 2016 werden wir mit der nächsten Veranstaltung aufwarten.“ Das Stuttgarter Restrukturierungsforum ist eine Plattform für Experten der Branche und bringt zwei Mal pro Jahr alle an der Sanierung eines Unternehmens Beteiligten zusammen. Hochrangige Gäste stellen aus verschiedenen Blickwinkeln ein aktuelles Thema vor und teilen ihr Expertenwissen mit den Gästen in der Diskussion. Mehr unter: www.stuttgarter-restrukturierungsforum.de.
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