08.03.2023 - Kategorie "Insolvenzverfahren"

P&R-Insolvenz: Erster BGH-Beschluss zur Klärung der Frage der Anfechtbarkeit von Zahlungen

Insolvenzverwaltern eine Leitlinie an die Hand gegeben wird, wie vergleichbare Fälle zu behandeln sind

Fortschritte bei der Klärung der Frage der Anfechtbarkeit der an die Anleger geleisteten Zahlungen durch die Pilotverfahren - Erste Anfechtungsklage rechtskräftig zurückgewiesen Entscheidung bestätigt, dass die Strategie der Insolvenzverwalter, die Rechtsfragen möglichst effizient und kostengünstig in Pilotverfahren zu klären, richtig war


Der Bundesgerichtshof hat mit dem heute dem Insolvenzverwalter zugestellten Beschluss vom 26.01.2023 eine erste Entscheidung in den von den Insolvenzverwaltern eingeleiteten Pilotverfahren gefällt. Er wies darin die Nichtzulassungsbeschwerde des Insolvenzverwalters der P&R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe zurück, wodurch diese rechtskräftig geworden ist. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte entschieden, dass keine Anfechtungsansprüche in Bezug auf die in den letzten vier Jahren vor Insolvenzantrag geleisteten Zahlungen bestehen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist – anders als die meisten Entscheidungen in Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren – ausführlich begründet.


Zum Hintergrund: Effiziente Klärung der Rechtsfrage in Pilotverfahren

Die effiziente Klärung der Frage, ob an die Anleger in den letzten vier Jahren vor Antragstellung im Jahr 2018 gezahlte Gelder gegebenenfalls im Wege der Insolvenzanfechtung zurückgefordert werden können, hatte eine große Relevanz für die heutigen Gläubiger der P&R-Gesellschaften.


Da es keine Vorgabe des Bundesgerichtshofs gab, wie derartige Fälle zu beurteilen sind, und auch die in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, haben die Insolvenzverwalter von Beginn an im Interesse der Gläubiger einen möglichst effizienten und kostenschonenden Weg gesucht, um die für die Gläubiger bedeutsame Rechtsfrage zu klären. Die Insolvenzverwalter haben sich dazu entschieden, deutschlandweit lediglich sechs Pilotverfahren durch die Instanzen zu führen, um die Frage der Anfechtbarkeit höchstrichterlich klären zu lassen.


Allen anderen betroffenen Anlegern wurden Hemmungsvereinbarungen vorgeschlagen, damit die Insolvenzverwalter ebenso wie die Anleger den Ausgang der Pilotverfahren abwarten können, und umfangreiche verjährungshemmende Maßnahmen, die entsprechenden Aufwand und Kosten mit sich bringen, nach Möglichkeit zu vermeiden. So wurden seitens der Insolvenzverwalter mehr als 125.000 Hemmungsvereinbarungen an die betroffenen Anleger versandt, die eine Hemmung der Verjährung bis zum 31.12.2023 vorsahen. Die Anleger und Gläubiger haben diese Strategie der Insolvenzverwalter begrüßt und unterstützt. Rund 99 Prozent der Betroffenen haben diese Vereinbarung akzeptiert. Nur in vergleichsweise wenigen Fällen mussten über die Pilotverfahren hinaus Rechtsstreitigkeiten eingeleitet werden, um die Verjährung zu hemmen.


Da bis zur soeben erfolgten Zustellung der Entscheidung durch den Bundesgerichtshof nicht absehbar war, wann der Bundesgerichtshof entscheiden wird, wurden die Anleger vor wenigen Tagen ausführlich über den Sachstand informiert und ihnen der Abschluss einer Verlängerungsvereinbarung vorgeschlagen. Die jetzt vorliegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs konnte dabei noch nicht berücksichtigt werden, da sie den Insolvenzverwaltern noch nicht bekannt war.


Völlig unterschiedliche Entscheidungen der Instanzgerichte

Dass der Bundesgerichtshof die Entscheidung ausführlich begründet hat, ist auch deshalb wichtig, da damit den Gerichten in Deutschland ebenso wie den Insolvenzverwaltern eine Leitlinie an die Hand gegeben wird, wie vergleichbare Fälle zu behandeln sind, und hat eine grundlegende Bedeutung über den entschiedenen Einzelfall hinaus. Wie dringend dies notwendig war, zeigt der Verlauf der geführten Verfahren:


In drei der sechs Pilotverfahren sind gerichtliche Entscheidungen ergangen, in denen die Anfechtungsansprüche aus § 134 Abs. 1 InsO zumindest teilweise bejaht wurden, und zwar mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen:


- So hat das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 08.10.2020 den beklagten Anleger zur Zahlung der Rückkaufpreiszahlungen verurteilt

- Kurze Zeit später hat das Landgericht München I in seinem Urteil vom 07.12.2020 die Anfechtbarkeit der an die Anlegerin geleisteten Gewinne bejaht.

- Das Oberlandesgericht Hamm hat in seinem Urteil vom 15.06.2021 den beklagten Anleger zur Rückzahlung der erhaltenen Mietzinszahlungen verurteilt.


Zwischenzeitlich haben in Verfahren, die zur Hemmung der Verjährung eingeleitet werden mussten, das Landgericht Hof mit Urteil vom 10.02.2023 und das Landgericht Passau mit Urteil vom 16.12.2022 die Anleger sogar zur Rückzahlung in voller Höhe verurteilt. Andere Gerichte haben die Klagen großteils abgewiesen.

 

Auswertung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht noch aus

Die Insolvenzverwalter begrüßen sehr, dass der Bundesgerichtshof nunmehr in Folge der von ihnen eingeleiteten Pilotverfahren eine ausführlich begründete Entscheidung erlassen hat, die nunmehr ausgewertet wird. Die Entscheidungen in den drei weiteren anhängigen Nichtzulassungsbeschwerden stehen noch aus.

 



Weitere Informationen:

Dr. jur. Michael Jaffé wird seit über zwei Jahrzehnten regelmäßig von den Gerichten in schwierigen und großen Insolvenzfällen bestellt, in denen es darum geht, das Vermögen für die Gläubiger zu sichern und bestmöglich zu verwerten. Eine besondere Expertise liegt dabei auf mehrstufigen Konzerninsolvenzverfahren und Verfahren mit grenzüberschreitenden Sachverhalten. Zu den national und international bekanntesten Insolvenzverfahren von Dr. jur. Michael Jaffé zählen der Medienkonzern KirchMedia des verstorbenen Dr. Leo Kirch, der vormals weltweit tätige Speicherchip-Hersteller Qimonda sowie die deutschen Tochtergesellschaften der Petroplus-Gruppe. Als Insolvenzverwalter von drei deutschen P&R Container-Verwaltungsgesellschaften verwertet er die weltweite Containerflotte. Seit 25. August 2020 ist er darüber hinaus als Insolvenzverwalter der Wirecard AG sowie weiterer Wirecard -Gesellschaften tätig.


Dr. jur. Philip Heinke ist Wirtschaftsmediator sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht und wird seit über fünfzehn Jahren überregional als Insolvenzverwalter bestellt. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen in Bezug auf Betriebsfortführungen von Unternehmen verschiedenster Branchen sowie in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren ebenso wie in Kapitalanlageverfahren. So wurde er unter anderem als Insolvenzverwalter in den Verfahren hm touristik GmbH & Co. KG sowie P & R Container Leasing GmbH, P & R AG und Wirecard Retail Services GmbH bestellt.


Die Kanzlei JAFFÉ Rechtsanwälte Insolvenzverwalter ist seit mehr als zwei Jahrzehnten eine der führenden Kanzleien auf den Gebieten Insolvenzverwaltung, Insolvenzrecht sowie Sanierung (nach dem ESUG), insbesondere in komplexen und grenzüberschreitenden Verfahren. Eine wichtige Grundlage dafür ist die regelmäßig gerade bei komplexen Verfahren gefragte langjährige Erfahrung, Kompetenz und Unabhängigkeit. Nicht zuletzt deshalb genießt die Kanzlei seit Jahrzehnten das Vertrauen von Gerichten und Gläubigern gerade in schwierigen Verfahren, in denen widerstreitende Interessen der Beteiligten bestehen. Die Kanzlei kann mit ihrer eigenen leistungsstarken und über Jahre gewachsenen Struktur Verfahren jeder Größenordnung im Interesse der Gläubiger begleiten.

 


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