17.02.2017 - Kategorie "Recht und Gesetz"

Anfechtungsrisiko für Gläubiger bleibt trotz Gesetzesreform unvermindert hoch

Reform der Insolvenzanfechtung verabschiedet

Bundestag beschließt Änderung der Insolvenzanfechtung


Der Bundestag hat die seit zwei Jahren kontrovers diskutierte Reform der Insolvenzanfechtung verabschiedet, um Gläubigern mehr Rechtssicherheit zu geben und die ausufernden Rückzahlungsforderungen der Insolvenzverwalter zu stoppen. Trotz umfangreicher Änderungen bleibt das Anfechtungsrisiko für Gläubiger unvermindert hoch. „Die Verkürzung der Anfechtungsfrist von zehn auf vier Jahre, die Bevorzugung des unmittelbaren Leistungsaustausches und die Besserstellung bei Ratenzahlungen betreffen nur Einzelfälle. Die Reform wird für die überwiegende Zahl von Anfechtungen wirkungslos bleiben“, erklärt Anfechtungsrechtsexperte Dr. Olaf Hiebert, von der Wirtschaftskanzlei Buchalik Brömmekamp. Einzig die Neuregelung der Zinsen, die nun erst ab Eintritt des Verzuges zu zahlen sind, ist eine Entlastung für viele Gläubiger. Auch Arbeitnehmer sollen mehr Sicherheit haben. Lohnzahlungen können in Zukunft nach einer Frist von drei Monaten grundsätzlich nicht mehr angefochten werden. Das Gesetz soll in Kürze in Kraft treten.

Änderungen zu Anfechtungsfrist und Bargeschäft sind für die Praxis untauglich

Die Insolvenzverwalter werden von Gläubigern auch weiterhin sehr leicht Geld zurückfordern können, wenn Schuldner in der Vergangenheit unregelmäßig gezahlt haben. „Realität und Gesetz haben auch künftig nichts miteinander zu tun. Die verkürzte Anfechtungsfrist betreffe weiterhin rund 90 Prozent der Verfahren. Auch das geänderte Bargeschäftsprivileg läuft ins Leere, da bei den meisten Geschäften kein unmittelbarer Leistungsaustausch stattfindet, der jetzt besser geschützt sein soll“, so Rechtsanwalt Dr. Hiebert.  Ein solcher als Bargeschäft bezeichneter Leistungsaustausch liegt nur vor, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung maximal 30 Tage liegen. Dass zwischen Warenlieferung oder Dienstleistung und der Bezahlung der Rechnung nur 30 Tage vergehen, ist aber branchenübergreifend absolut unüblich.


Besserstellung bei Ratenzahlungsvereinbarung hilft Gläubigern wenig

Nach der Reform sollen Ratenzahlungen oder andere Zahlungserleichterungen kein Indiz mehr dafür sein, dass der Gläubiger eine Zahlungsunfähigkeit seines Kunden kannte. Der Bundesgerichtshof und viele Gerichte hatten dies bisher anders gehandhabt. Für die Zukunft wird die Klarstellung im Gesetz kaum Auswirkungen bei Anfechtungsprozessen haben. „Derzeit werden Anfechtungen höchst selten allein auf Ratenzahlungen gestützt. Es sind immer alle Beweisanzeichen zu beachten, wenn geprüft wird, ob der Gläubiger bei der Zahlung wusste, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist“, sagt Dr. Hiebert. Beweisanzeichen sind beispielsweise die verzögerte oder aber unvollständige Zahlung, eine Mahnung, die Drohung mit einem Anwalt oder einem Inkassodienstleister, Vollstreckung oder gerichtliche Schritte, die Beendigung der Geschäftsbeziehung oder eine negative Entwicklung der Gesamtverbindlichkeiten. Jedes einzelne Beweisanzeichen kann als Nachweis über die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit genügen und eine Anfechtbarkeit begründen. Gläubiger seien auch künftig in der Hand der Richter, die entscheiden, ob ein oder mehrere Anzeichen ihrer Ansicht nach eine Kenntnis des Gläubigers anzeigen; Rechtssicherheit sehe anders aus, so Anfechtungsexperte Dr. Hiebert.


Das größere Problem als Ratenzahlungen sind häufig die Teilzahlungen, die zwischen Schuldner und Gläubiger nicht verabredet sind. Ferner machen vor allem die Geschäftsunterlagen des insolventen Unternehmens, die schleppende Zahlungen an Gläubiger belegen, und Forderungsanmeldungen der Gläubiger den Insolvenzverwalter erst auf mögliche Anfechtungsansprüche aufmerksam.


Beratungsbedarf und Anfechtungsklagen werden zunehmen

„Die Insolvenzanfechtung gegen Unternehmer wird durch das neue Gesetz in keiner Weise wirksam verhindert“, ist sich Rechtsanwalt Dr. Hiebert sicher. Gläubiger sind weiterhin gezwungen, die Hilfe von spezialisierten Anwälten in Anspruch zu nehmen. Sie müssen in einem Verfahren die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls bei Gericht vorgetragen. Nachteilig werden sich für die Gläubiger die noch unbekannten Rechtsbegriffe auswirken. „Anfechtungen und Klagen werden noch deutlich zunehmen. Die neuen Rechtsbegriffe müssen erst durch die Gerichte ausgelegt werden und bieten dem Insolvenzverwalter viel Interpretationsspielraum“, meint Dr. Hiebert. Rechtsexperten erwarten vor allem Streit um die Begriffe „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ sowie Unlauterkeit. Denn für unlautere Rechtshandlungen gilt weiterhin die Anfechtungsfrist von zehn Jahren.


Zinsregelung als Trostpflaster

Immerhin eine Ungerechtigkeit wird beseitigt. Nach der Reform muss der Gläubiger erst Zinsen auf die Anfechtungsforderung zahlen, wenn er mit der Rückzahlung in Verzug ist. Bislang wurden bereits ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zinsen fällig, auch wenn der Gläubiger von dem Anspruch gar nichts wusste, da der Insolvenzverwalter erst bis zu drei Jahre später nach Eröffnung zur Zahlung aufforderte. Diese Regelung gilt für alle Insolvenzverfahren, auch wenn diese vor Inkrafttreten der Reform eröffnet wurden.


Hintergrund: Anlass der Reform

Bisher gerieten Lieferanten, Dienstleister, Vermieter und Berater bei einer Insolvenz ihres Kunden immer wieder in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Vor allem Mittelständler klagten über hohe Rückzahlungsforderungen der Insolvenzverwalter ihrer in die Insolvenz geratenen Kunden. Neben dem Forderungsausfall belasteten Rückzahlungsforderungen die Unternehmer, die dadurch nicht selten selbst in eine existenzbedrohende Krise oder gar Insolvenz getrieben wurden. 


Grundlage dieser Rückforderungen ist die sogenannte Insolvenzanfechtung. Danach können Insolvenzverwalter Zahlungen eines Schuldners an einen Gläubiger zurückverlangen, wenn beide Seiten bei der Zahlung wussten, dass der Schuldner nicht alle seine Gläubiger bezahlen konnte. Nach der bisherigen Rechtsprechung reichten Indizien aus, um nachzuweisen, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Kunden kannte. Diese Indizien sind beispielsweise verspätete oder unvollständige Zahlungen, Mahnungen, die Drohung mit Vollstreckung, mit einem Anwalt oder mit einem Inkassobüro aber auch die Vereinbarung von Ratenzahlungen. Grundlage hierfür war vor allem die Vorschrift des § 133 InsO, die von der Rechtsprechung seit dem Jahr 2012 zunehmend verschärft wurde.


Bild: © geralt / pixabay

Wollen Sie umgehend informiert werden, wenn es Neuigkeiten zu diesem Verfahren gibt?


Testen Sie kostenfrei und unverbindlich 3 Tage lang diese Funktionalität - zum Beispiel über unser "Risk-Paket" - und wir benachrichtigen Sie, sobald zum Verfahren neue Nachrichten oder neue Beschlüsse vorliegen.


Jetzt zur Paketauswahl