Anfechtungsrisiko für Gläubiger bleibt trotz Gesetzesreform unvermindert hoch
Bundestag beschließt Änderung der Insolvenzanfechtung
Der Bundestag hat die seit zwei Jahren kontrovers
diskutierte Reform der Insolvenzanfechtung verabschiedet, um Gläubigern
mehr Rechtssicherheit
zu geben und die ausufernden Rückzahlungsforderungen der
Insolvenzverwalter zu stoppen. Trotz umfangreicher Änderungen bleibt das
Anfechtungsrisiko für Gläubiger unvermindert hoch. „Die Verkürzung der
Anfechtungsfrist von zehn auf vier Jahre, die Bevorzugung
des unmittelbaren Leistungsaustausches und die Besserstellung bei
Ratenzahlungen betreffen nur Einzelfälle. Die Reform wird für die
überwiegende Zahl von Anfechtungen wirkungslos bleiben“, erklärt
Anfechtungsrechtsexperte Dr. Olaf Hiebert, von der Wirtschaftskanzlei
Buchalik Brömmekamp. Einzig die Neuregelung der Zinsen, die nun erst ab
Eintritt des Verzuges zu zahlen sind, ist eine Entlastung für viele
Gläubiger. Auch Arbeitnehmer sollen mehr Sicherheit haben. Lohnzahlungen
können in Zukunft nach einer Frist von drei
Monaten grundsätzlich nicht mehr angefochten werden. Das Gesetz soll in
Kürze in Kraft treten.
Änderungen zu Anfechtungsfrist und Bargeschäft sind für die Praxis untauglich
Die
Insolvenzverwalter werden von Gläubigern auch weiterhin sehr leicht
Geld zurückfordern können, wenn Schuldner in der Vergangenheit
unregelmäßig gezahlt haben. „Realität
und Gesetz haben auch künftig nichts miteinander zu tun. Die verkürzte
Anfechtungsfrist betreffe weiterhin rund 90 Prozent der Verfahren. Auch
das geänderte Bargeschäftsprivileg läuft ins Leere, da bei den meisten
Geschäften kein unmittelbarer Leistungsaustausch
stattfindet, der jetzt besser geschützt sein soll“, so Rechtsanwalt Dr.
Hiebert. Ein solcher als Bargeschäft bezeichneter Leistungsaustausch
liegt nur vor, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung maximal 30 Tage
liegen. Dass zwischen Warenlieferung oder
Dienstleistung und der Bezahlung der Rechnung nur 30 Tage vergehen, ist
aber branchenübergreifend absolut unüblich.
Besserstellung bei Ratenzahlungsvereinbarung hilft Gläubigern wenig
Nach
der Reform sollen Ratenzahlungen oder andere Zahlungserleichterungen
kein Indiz mehr dafür sein, dass der Gläubiger eine Zahlungsunfähigkeit
seines Kunden kannte.
Der Bundesgerichtshof und viele Gerichte hatten dies bisher anders
gehandhabt. Für die Zukunft wird die Klarstellung im Gesetz kaum
Auswirkungen bei Anfechtungsprozessen haben. „Derzeit werden
Anfechtungen höchst selten allein auf Ratenzahlungen gestützt.
Es sind immer alle Beweisanzeichen zu beachten, wenn geprüft wird, ob
der Gläubiger bei der Zahlung wusste, dass der Schuldner zahlungsunfähig
ist“, sagt Dr. Hiebert. Beweisanzeichen sind beispielsweise die
verzögerte oder aber unvollständige Zahlung, eine
Mahnung, die Drohung mit einem Anwalt oder einem Inkassodienstleister,
Vollstreckung oder gerichtliche Schritte, die Beendigung der
Geschäftsbeziehung oder eine negative Entwicklung der
Gesamtverbindlichkeiten. Jedes einzelne Beweisanzeichen kann als
Nachweis
über die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit genügen und eine
Anfechtbarkeit begründen. Gläubiger seien auch künftig in der Hand der
Richter, die entscheiden, ob ein oder mehrere Anzeichen ihrer Ansicht
nach eine Kenntnis des Gläubigers anzeigen; Rechtssicherheit
sehe anders aus, so Anfechtungsexperte Dr. Hiebert.
Das
größere Problem als Ratenzahlungen sind häufig die Teilzahlungen, die
zwischen Schuldner und Gläubiger nicht verabredet sind. Ferner machen
vor allem die Geschäftsunterlagen
des insolventen Unternehmens, die schleppende Zahlungen an Gläubiger
belegen, und Forderungsanmeldungen der Gläubiger den Insolvenzverwalter
erst auf mögliche Anfechtungsansprüche aufmerksam.
Beratungsbedarf und Anfechtungsklagen werden zunehmen
„Die
Insolvenzanfechtung gegen Unternehmer wird durch das neue Gesetz in
keiner Weise wirksam verhindert“, ist sich Rechtsanwalt Dr. Hiebert
sicher. Gläubiger sind weiterhin
gezwungen, die Hilfe von spezialisierten Anwälten in Anspruch zu
nehmen. Sie müssen in einem Verfahren die tatsächlichen Umstände des
Einzelfalls bei Gericht vorgetragen. Nachteilig werden sich für die
Gläubiger die noch unbekannten Rechtsbegriffe auswirken.
„Anfechtungen und Klagen werden noch deutlich zunehmen. Die neuen
Rechtsbegriffe müssen erst durch die Gerichte ausgelegt werden und
bieten dem Insolvenzverwalter viel Interpretationsspielraum“, meint Dr.
Hiebert. Rechtsexperten erwarten vor allem Streit um
die Begriffe „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ sowie
Unlauterkeit. Denn für unlautere Rechtshandlungen gilt weiterhin die
Anfechtungsfrist von zehn Jahren.
Zinsregelung als Trostpflaster
Immerhin
eine Ungerechtigkeit wird beseitigt. Nach der Reform muss der Gläubiger
erst Zinsen auf die Anfechtungsforderung zahlen, wenn er mit der
Rückzahlung in Verzug
ist. Bislang wurden bereits ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zinsen
fällig, auch wenn der Gläubiger von dem Anspruch gar nichts wusste, da
der Insolvenzverwalter erst bis zu drei Jahre später nach Eröffnung zur
Zahlung aufforderte. Diese Regelung gilt
für alle Insolvenzverfahren, auch wenn diese vor Inkrafttreten der
Reform eröffnet wurden.
Hintergrund: Anlass der Reform
Bisher gerieten Lieferanten, Dienstleister, Vermieter und Berater bei einer Insolvenz ihres Kunden immer wieder in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Vor allem Mittelständler klagten über hohe Rückzahlungsforderungen der Insolvenzverwalter ihrer in die Insolvenz geratenen Kunden. Neben dem Forderungsausfall belasteten Rückzahlungsforderungen die Unternehmer, die dadurch nicht selten selbst in eine existenzbedrohende Krise oder gar Insolvenz getrieben wurden.
Grundlage dieser Rückforderungen ist die sogenannte Insolvenzanfechtung. Danach können Insolvenzverwalter Zahlungen eines Schuldners an einen Gläubiger zurückverlangen, wenn beide Seiten bei der Zahlung wussten, dass der Schuldner nicht alle seine Gläubiger bezahlen konnte. Nach der bisherigen Rechtsprechung reichten Indizien aus, um nachzuweisen, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Kunden kannte. Diese Indizien sind beispielsweise verspätete oder unvollständige Zahlungen, Mahnungen, die Drohung mit Vollstreckung, mit einem Anwalt oder mit einem Inkassobüro aber auch die Vereinbarung von Ratenzahlungen. Grundlage hierfür war vor allem die Vorschrift des § 133 InsO, die von der Rechtsprechung seit dem Jahr 2012 zunehmend verschärft wurde.
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